Krabbler des Grauens
Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiihhhhhhhhhhhh! Bääääähhhhhh! Wer Maden sieht, hört oder fühlt, kann nur selten seinen Ekel unterdrücken. Als Angler kommt man um die kleinen Krabbler aber nicht herum. Weil alle Fische sie lieben. Eine Ode an die Fliegenlarve.
Es gibt einen Moment im Leben eines Junganglers, in dem sich entscheidet, ob er seinem geliebten Hobby treu bleibt. Dieser Punkt kommt lange, bevor man sich mit Wein, Weib, Gesang, Job, schlechtem Wetter, Behörden, Rückenschmerzen und all den anderen Dingen auseinandersetzen muss, die einem später den Trip ans Wasser vermiesen. Er hat auch nichts mit dem ersten Ich-hab-jetzt-beschissene-drei-Tage-geangelt-ohne-einen-einzigen-verdammten-Biss-Erlebnis zu tun. Das stellt sich ja oft schon in der ersten Woche der Angler-Karriere ein. Dieser Moment am Scheideweg beginnt meistens ganz harmlos: Ein schöner Tag draußen, man will ein paar Rotaugen stippen, packt die Angelsachen zusammen ...
Und dann macht Mutter den Kühlschrank auf.
Ah je, denkt sich der Jungangler, das war diese Sache, die ich Mutter neben der Fünf in Mathe noch beichten wollte: Diese kleine Packung voll Maden, die man im Kühlschrank zwischen dem Schwarzwälder Schinken und dem angebrochenen Bottich Buttermilch deponiert hatte. Maden müssen kühl gehalten werden, sonst verpuppen sie sich zu schnell, dann rührt sie kein Fisch mehr an. Dumm nur, dass man die Packung vorher schon geöffnet hatte, und das richtig Dumme an den handelsüblichen Maden-Packungen ist, dass man sie nie wieder so zumachen kann, dass nirgendwo eine Ritze bleibt. Und eines der drei Gebote des Angelns ist: Maden finden immer eine Lücke. Die anderen beiden: Wo eine Made ist, sind auch andere. Und sie haben Schwarzwälder Schinken zum Fressen gern.
Mutters anschließender Schrei ähnelt übrigens verblüffend denen dieser blondierten Filmstars in den Filmen der fünfziger Jahre (wie "Der Schrecken vom Amazonas"), wenn das Monster zum ersten Mal auftaucht. Es gibt dann zwei Möglichkeiten: Mutter erholt sich nach einer Schimpfkanonade, verbunden mit der Mahnung, man dürfe "nie wieder, nie, nie, nie, hörst Du?!" Maden im Kühlschrank aufbewahren, oder sie verhökert alle Angelsachen auf dem nächsten Flohmarkt (heute wahrscheinlich bei Ebay) und verdonnert den Sohn zum Eintritt in den Schwimmverein oder zu solchen Hobbys wie Mountainbiking oder Simultanschach. Meine Mutter konnte ich durch Hundeblick und Schluchzen gerade noch von Kategorie eins überzeugen, zumal ich gerade auch gelogen habe: Ich war ein Genie in Mathe und habe nie eine Fünf geschrieben.
Nach diesem Moment steht einer erfolgreichen Anglerkarriere nichts mehr im Wege, denn wer Maden zu schätzen weiß, der wird auch Fische fangen. Denn es gibt kaum eine Art, die sich nicht von diesen kleinen Krabblern verführen lässt: Weißfische wie Rotaugen sind sowieso ganz versessen darauf, trotz der Boilie-Mania beißt auch mal ein Karpfen, Barsche stürzen sich mit Freude auf ganze Bündel, und ich habe damals in einem Urlaub in Dänemark sogar meinen ersten Hecht darauf gefangen. Ich gebe zu, das passierte, als ich gerade meine Angel einzog, der Hecht hat wohl einfach mal aus einem Reflex heraus zugeschnappt. Aber der Köder: Maden halt.
Klar gibt es auch noch andere Köder, auf die man schwören kann: Rotaugen und Brassen beißen gerade jetzt im Sommer hervorragend auf Dosenmais. Der riecht auch ganz toll und davon kann man - im Gegensatz zu Maden - auch selbst schnell mal einen Löffel probieren, wenn am Wasser plötzlich der Magen knurrt. Allerdings ist so eine Dose Mais ganz schön groß, und am Ende eines langen Tages bleibt dann doch viel übrig. Brot und Teig in allen Variationen sind auch wirklich tolle Köder. Wer allerdings darauf wettet, dass diese Teile dauerhaft am Haken halten, der spekuliert wahrscheinlich auch an der chinesischen Börse. Und nichts ist schlimmer, als eine Stunde am Wasser zu sitzen, der Köder hat sich schon vor 55 Minuten verabschiedet und man weiß nichts davon.
Maden würden wahrscheinlich auch drei Tage am Stück am Haken halten. Und wären dann immer noch putzmunter. Wenn sie nicht schon lange vorher von Fischen gefressen werden würden. Würmer sind ja auch ein klassischer Köder, aber diese Kollegen sind so furchtbar sensibel, dass sie schon nach zwei Minuten jegliche Bewegung einstellen und nur noch so schlaff am Haken hängen wie ein Kirmesboxer nach ein paar Schlägen der Klitschkos.
Es gibt übrigens noch einen Moment, in dem eine Angler-Karriere auf der Kippe steht: Wenn schon längst nicht mehr die Mutter, sondern die Freundin oder Frau den Kühlschrank verwaltet. Dann liegt der Serrano-Schinken neben der Bio-Molke, aber die Maden müssen ja immer noch irgendwie gekühlt werden. Kleiner Tipp: Vorher lieber noch den Hundeblick und das Schluchzen üben. Und immer einen Blumenstrauß in der Hinterhand haben.
Von Horst Köder
ANGELKOLUMNE
präsentiert vom Spiegel online aus dem Manager-Magazin.de